Wettrup

Sitten & Gebräuche

„Erpelskärmste" (Kartoffelkirmes)

Es ist bis in die fünfziger-sechziger Jahre hinein üblich gewesen, daß alle Familien auf dem Lande eine kleine oder größere Fläche mit Kartoffeln bestellten. Die Ernte verbrauchte man im Haushalt und als Schweinefutter oder verkaufte Speisekartoffeln für die Stadtbewohner. Die Kartoffel-Ernte war arbeitsaufwendig, weil es zunächst keine Erntemaschinen gab. Deshalb bot es sich an, Arbeitsgemeinschaften zu bilden. Zum Erntetag traten alle verfügbaren Leute des Hofes, von den Heuerleuten und Nachbarn mittags um 12.00 Uhr an. Der Kartoffelacker war vormittags abgeeggt worden, um einen Teil des störenden Kartoffelkrauts abzuräumen. Dann teilte man den Acker in 4-6 Abschnitte (Pänder) ein, markiert durch Sträucher. Für jeden Abschnitt wurden drei Personen eingeteilt. In jedem Teilstück stand ein Wagen für die zu sammelnden Kartoffeln bereit. Punkt 12.00 Uhr begann der Gespannführer mit dem Umpflügen der zu Dämmen aufgehäuften Kartoffelreihen. Weil der Damm breiter war als der Pflugkörper, konnte er immer nur eine Hälfte der Reihe umdrehen, im nächsten Rundgang die zweite Hälfte.

Bei diesem Arbeitsgang wurden etliche Kartoffeln freigelegt. die ein ,,Vorsammler" (ein Kind) auflas. Ihm folgte der ,,Schüttler", ein kräftiger Mann, der mit einer Mistgabel die Furche, die meistens stark verunkrautet war, auseinander schüttelte. Die dabei freigewordenen Kartoffeln sammelte ein weiteres Kind oder älteres Mädchen (Nachsammler) auf. Nach diesem System (Vorsammler, Schüttler, Nachsammler) mußte jede Dreiergruppe das zugewiesene Teilstück bearbeiten.

In der Zeit von 12.00 Uhr mittags bis 18.00 Uhr abends schaffte man mit 10 bis 12 Personen im allgemeinen 0,5 ha. Meistens reichte die Zeit dann noch, um die abgeerntete Fläche schnell überzueggen. Die mit Erde bedeckt gebliebenen Kartoffeln kamen dabei zum Vorschein. Alle Sammler traten in einer langen Kette an und sammelten die letzten Kartoffeln auch noch auf. Zwischendurch steckte man hier und da Kartoffelkrauthaufen an und erfreute sich der vielen kleinen Feuerchen, die nebenbei auch noch für die beliebten Röstkartoffeln sorgten.

Während die 6-8 mit Kartoffeln voll beladenen Ackerwagen nach Hause gefahren wurden, versammelten sich die Sammler schon auf dem Hof. Jeder Erntetag schloß mit einem gemeinsamen Abendessen ab. bestehend aus einer kräftigen Erbsensuppe und Reisbrei mit Zucker und Zimt bestreut als Nachspeise. Da wurde nicht nur tüchtig zugelangt. sondern auch humorvoll erzählt und kräftig gelacht. Nach dem Essen unterhielten sich die Älteren eine Zeitlang bei Pfeife und Priemen. Gute Erzähler gab es früher immer.

Die Jugendlichen versammelten sich auf der Tenne zu irgendwelchen Gesellschaftsspielen. Sehr gerne spielte man das ,,Hasenjagen" ein Such- und Fangspiel, das sich vielfach nicht nur auf den Tennenbereich beschränkte.

Die Kinder und Jugendlichen haben die Zeit der Kartoffelernte geliebt. Der Nachmittag war zwar anstrengend, aber abends gab es ein ,,Festessen" und anschließend 2-3 Stunden voller Humor und Abwechslung. Viele Kinder gingen wochenlang zu den Bauern und verdienten sich nebenher noch ein schönes Kirmesgeld.

In den dreißiger Jahren änderte sich die Kartoffelernte insoweit, als nun Rodemaschinen zur Verfügung standen, die den Damm in einmal mitnahmen und ihn schön zerteilten, so daß sich der ,,Schüttler" erübrigte. Man benötigte je ,,Pand" (Teilstück) nur noch 2 Sammler. Mit der Einführung der Vollerntemaschine in den siebziger Jahren entfielen diese dann auch.

Je nach Betriebsgröße brauchte man früher 5-8 Tage, um die angebauten Kartoffeln zu ernten.

(Aus den Erinnerungen von Landwirt Clemens Lampen, Wettrup)