Wettrup

Hahnenmoor

Das Hahnenmoor

Fährt man heute ins Hahnenmoor, blickt man links und rechts des Weges auf große Äcker, saftige Wiesen und saubere Gehöfte. Vor 50 Jahren sah das alles ganz anders aus. Die Wege waren im Herbst und Winter fast unpassierbar. Den Stallmist für die Äcker in der Moorstege konnte man vielfach nur im Winter über die gefrorenen Wege dorthin schaffen, oder es mußte ein Doppelgespann (4 Pferde) vor den Mistwagen gespannt werden.

Ich erinnere mich daran, daß rechts vom Moorweg, einige 100 Meter vom jetzigen Siedler Holtkamp entfernt, eine große Wasserfläche existierte, die sicherlich auf einen früheren Torfstich in diesem Gebiet zurückzuführen war. Am Rande dieses ,,Teiches" standen Schilfgewächse, Zylinderputzer und Weidenholzsträucher. Diese Gegend nannte man ,,Ballerwüste", die gegenüberliegende Seite (links vom Weg) hieß ,,Tülshok".

Das Hahnenmoor ist früher nach ,,Erbesfuß" (Hofesgröße) an die Bauern 3er umliegenden Gemeinden aufgeteilt worden. Wir erhielten seinerzeit 4 ha, zwei kleinere Parzellen vorne und zwei größere hinten (up den Witten, auf dem Moor, jeweils links und rechts vom Moorweg). Bei den vorderen Stücken handelte es sich um Schwarztorf, der ein bis zwei Meter dick auflag und guten Brenntorf abgab. Bei den letzteren Parzellen hatten wir es mit Hochmoor zu tun. Die 3-4 Meter dicke Auflage bestand im oberen Bereich aus Weißtorf (für Feuerzwecke ungeeignet), in der Mitte Braun- und unten aus Schwarztorf. In den ausgegrabenen Moorrandgebieten wuchs Birkenholz, auf dem Hochmoor Heide und Wollgras. Die Landschaft mit ihrer Heide, dem Woll- und Borstgras diente jahrzehntelang u. a. dem Bauern Triphaus aus Grafeld als Weide für seine 150 bis 200 Heidschnucken (anspruchlose Schafrasse). Als dieser die Herde abschaffte und die Schafe somit nicht mehr junge Bäumchen abfraßen, entstand langsam ein dichter Birkenwald. Das Torfgraben zur Gewinnung des notwendigen Brennmaterials erfolgte im Monat Mai nach Abschluß der Frühjahrsbestellung. Etwa zwei Wochen lang belebten dann schlagartig Hunderte von Menschen aus den Randgebieten das Hahnenmoor. Fast jede Familie ging 5 bis 6 Tage ins Moor, um den Brenntorf für das ganze Jahr zu gewinnen. Einer aus der Familie brachte die Torfarbeiter (Familienangehörige und Heuerleute, oder Nachbarn) morgens um 6.00 Uhr mit Pferd und Wagen bis ans Moor heran. Das letzte Ende des Weges (1-2 km) mußte zu Fuß zurückgelegt werden. Als mein Vater in seiner Eigenschaft als Ortsbürgermeister im Rahmen des Gemeindedienstes den Moorweg hatte übersanden lassen, konnten die Wagen bis zum Hochmoor d.h. bis zum Arbeitsplatz fahren.

Das Torfstechen war eigentlich eine etwas romantische Sache. Wenn die vielen vollbesetzten Wagen auf dem Sandweg dahinfuhren, hörte man nur die Menschen reden und lachen. Man sah und hörte die große Zahl der Vögel wie Kiebitze, Lerchen, Brachvögel usw. Auf dem Moorpfand angelangt, wurde als erstes ein offenes Feuer angemacht, damit der Kaffee fürs Frühstück aufgebrüht werden konnte. Nachdem das mitgebrachte Essen im Schatten einer Moorgrube abgestellt war, ging es an die Arbeit, die immer paarweise verrichtet wurde. Ein Mann stach den Torf, eine Frau mußte ihn mit der Schiebkarre 5-15 Meter weit wegfahren und auf der Heidefläche verteilen. Eine Torfgrube war meistens 4 X 4 m groß. Die obere Weißtorfschicht, als Brenntorf ungeeignet, wurde abgeräumt und in die Vorjahresgrube geworfen. Auf den 3. und 4. ,,Pänden" (dem Hochmoorbereich) erreichten die gegrabenen Löcher eine Tiefe von 3 bis 4 Metern. Es dauerte zwei Tage, um solch einen Torfblock auszustechen. Am ersten Tage erreichte man den Grundwasserstand am zweiten Tag die Sohle. Der Arbeitsvorgang war nicht ganz ungefährlich. Zur abgegrabenen Seite, wo das Wasser stand, mußte eine dicke Schutzwand stehen bleiben, um einen Wassereinbruch zu verhindern. Mit einem scharfen Spezialspaten ließ sich der Torf gut abstechen, lediglich in den unteren Moorschichten stieß man häufig auf Baumstubben und Äste, den Überresten eines Waldes aus der Vorzeit der Torfbildung.

Einige Wochen später waren die Torfstücke (Würfel 15 x 15 cm groß 3der Langtorf 10x 12 x 30 cm groß) angetrocknet und konnte in Ringen aufgesetzt werden, die 2-3 Wochen später noch mal umgepackt wurden. Nach einer Gutwetterperiode konnte man den Torf dann nach Hause fahren. Etwa zehn Wagen voll reichten für das ganze Jahr. Die Verpflegung während des Torfgrabens war einfach und deftig. Zum Frühstück gab es Brot mit Butter und Speck, mittags Speck-Pfannkuchen, der in einer Pfanne auf dem offenen Feuer aufgewärmt wurde, und zur Vesperzeit belegte Brote.

Der in einem gußeisernen Kessel mit Moorwasser gekochte Kaffee schmeckte nicht besonders gut.

Die Pfanne und der Kaffeekessel blieben während der Torfstechzeit auf dem Moorpfand liegen. Als in späteren Jahren auf Grund der besseren Wegeverhältnisse die Wagen bis zur Arbeitsstelle fahren konnten, nahm man Wasser oder Kaffee von zuhause mit. Das Essen mußte ja nicht mehr getragen werden.

Die Essensgebräuche änderte meine Mutter. Sie machte tags zuvor die Brote fertig, die am nächsten Morgen gut verpackt mitgenommen wurden. Zum Pfannkuchen gab es Kompott und wer wollte, konnte mittags auch Kartoffelsalat essen. Diese Umstellung übernahmen viele Familien.

Die zweistündige Mittagszeit nutzten die älteren Leute für ein Schläfchen in der Mittagssonne, während die Jugendlichen von allen Seiten zu einem Stelldichein zusammen kamen. Pünktlich um 18.00 Uhr strömte alles nach Hause, dem abholenden Wagen entgegen.

Die Hochmoor-Oberfläche nutzten die Bauern im vorigen und anfangs dieses Jahrhunderts zum Anbau von Buchweizen. Nachdem das Moor einigermaßen entwässert und Zwischengräben gezogen waren, ließ sich die Bodenbearbeitung einigermaßen durchführen. Zunächst pflügte man die Weißtorfschicht flach um. Damit die Pferde überhaupt auf dem Moor gehen konnten, bekamen sie 25 cm große runde Holzbretter (sogenannte Trippen) unter die Hufe geschnallt. Nach dem 1. Weltkrieg lagen in unserer früheren Zichorienfabrik noch lange solche Pferde-Holzschuhe herum.

Nach dem Pflügen zerkleinerte man mit Hacken und Forken die Torfschicht und brannte sie ab, nachdem sie genügend angetrocknet war. In die Asche wurde der Buchweizensamen gesät. Er brachte eine annehmbare Ernte, wenn die Frucht von scharfen Nachtfrösten verschont blieb. Das Buchweizenmehl diente in der Hauptsache zum Backen des Buchweizenpfannkuchens, der früher viel gegessen wurde, in manchen Familien täglich. In der Zeit des Moorbrennens zogen oft tagelang, je nach Windrichtung, stark riechende Rauchwolken über die angrenzenden Ortschaften hinweg.

Der Buchweizenanbau schlief wieder ein, weil er Unsicherheiten in sich barg, die Essgewohnheiten sich änderten und die Nachfrage nach Buchweizenmehl nicht mehr gegeben war. Die während des Torfgrabens benutzten offenen Feuerstellen führten hier und da zu Moorbränden. Meistens konnte man das Feuer schnell löschen. Ergriff es aber die trockene und lang aufgewachsene Frühjahrsheide, ging die Feuerwalze bei etwas stärkerem Wind rasend schnell über das ganze Hahnenmoor hinweg. Die Vögel und Hasen mußten sich beeilen, wenn sie nicht von dem Feuersturm erfaßt werden wollten. Großer Schaden entstand allgemein nicht. Manche Schafhalter freuten sich über die nachwachsende junge Heide, die ein besseres Futter für die Schafe abgab.

Vor dem zweiten Weltkrieg kaufte der Staat den größten Teil des Hahnenmoores auf, die Bauern behielten Restflächen. Nach dem Kriege kamen die Ölheizungen auf und das Interesse am Moor ließ nach. Lediglich in den Randgebieten des Moores entstanden Siedlungen, um aus dem Osten Deutschlands ausgetriebene Landwirte wieder unterzubringen. Die Weißtorfschicht des Hochmoores torfte ein Unternehmer ab, verarbeitete sie zu Torfstreu und verkaufte die Ballen in die ganze Welt.

Inzwischen hat der Landkreis Emsland das ganze Gebiet unter Naturschutz gestellt, eine bei Bauern umstrittene Maßnahme. Neben der Heide und dem Wollgras wird sich nun voraussichtlich die Birke schnell ausbreiten, wenn sie nicht durch Moorbrände ständig wieder vernichtet wird.

(Clemens Lampen, Wettrup)