Wettrup

Pingelanton

Die Kleinbahn Lingen-Berge-Quakenbrück (1904 - 1952) 

Auf diesen Seiten darf eine Erinnerung an die Kleinbahn nicht fehlen. Sie stellte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts eine für unseren noch recht unerschlossenen Raum eine bedeutende Verkehrsader dar. 

Die Notwendigkeit einer solchen Anbindung an das staatliche Schienennetz erkannt und die zur Realisierung des Projekts notwendige Initiative ergriffen zu haben, ist zu einem ganz wesentlichen Teil Verdienst eines Wettruper Bürgers, des Hofbesitzers Altmann. 

Über die Entstehungsgeschichte der Kleinbahn berichtet er aus Anlaß des 25jährigen Bestehens im Lingener Volksboten (Nr.126 des Jahres 1929):

,,Am 1. Juni kann die Kleinbahn auf einen 25jährigen Betrieb zurückblicken; An diesem Tage des Jahres 1904 nahm unsere Kleinbahn offiziell den Betrieb auf, nachdem am Tage vorher eine Eröffnungsfeier stattgefunden hatte, an der Spitzen der Behörden teilnahmen und viele sonstige Interessenten. - Es wird der jüngeren Generation gewiß nicht uninteressant sein, etwas über den Werdegang der Kleinbahn zu erfahren. 

Die Vorarbeiten und der Bau der 56 Kilometer langen Strecke haben ca. 5 1/2jahre gedauert. Im Winter 1898/99 tauchte in der Gemeinde Wettrup, welche 25 Kilometer von ihrer Kreisstadt und 12 Kilometer von der nächsten Bahnstation entfernt ist, der Gedanke auf, eine Bahnverbindung Sackbahn über Handrup - Lengerich - Langen nach ihrer Kreisstadt zu schaffen. 

Da die Gemeinde Berge schon früher sich mit einem Bahnprojekt nach Quakenbrück beschäftigt hatte, das Projekt aber wegen Unrentabilität wieder hatte fallen lassen müssen, setzte sich die Gemeinde Wettrup mit Berge in Verbindung, lediglich um zu erfahren, wie und wo man es anzufangen habe, um eine Bahnverbindung zu erhalten. Dieser erste Schriftverkehr mit dem Vertreter von Berge wurde am 5. Januar 1899 geführt. Der Vertreter von Berge, Herr Gemeindevorsteher Schenke, schrieb, diese wichtige Sache lasse sich nicht schriftlich erledigen, sondern nur mündlich; er wäre gerne bereit, auf halbem Wege nach Ohrtermersch zu kommen, um seine Erfahrungen und weitere Gedanken auszutauschen. 

Um sich zunächst aber über die Ansichten den in Frage kommenden Gemeinden über eine Bahnverbindung zu überzeugen, wurden seitens Wettrup diese zu einer Besprechung nach Lengerich eingeladen, um eventuell eine Kommission zu wählen, die mit dem Vertreter von Berge Fühlung nehme. In der schon gleich zu Anfang ziemlich aufgeregten Versammlung lehnten die Lengericher Herren eine Kleinbahnverbindung von dem kleinen Wettrup aus über Lengerich und Langen nach Lingen ganz entschieden ab, denn Lengerich hatte höhere Pläne; Lengerich holte sein, wie es sagte, schon über 22 Jahre bestehendes Projekt Fürstenau - Lingen wieder hervor, obschon es darauf aufmerksam gemacht wurde, daß von diesem Projekt nur die Gemeinden Lengerich und Langen berührt würden. Nach langen Verhandlungen wurden doch von sämtlichen Gemeinden, auch von Lengerich, je zwei Vertreter gewählt, um in Ohrtermersch und Berge zu verhandeln. Die beiden Vertreter von Lengerich entschuldigten sich in letzter Stunde am Tage der Zusammenkunft. 

Die Herren von Berge waren für das Projekt von der Kreisgrenze nach Lingen sehr interessiert, weil ihr früheres Projekt Berge - Quakenbrück, für welches schon die Vorarbeiten fertig waren, dann eventuell zur Ausführung gelangen könne. Auf Vorschlag von Berge wurden aus den Gemeinden des Kreises Lingen zwei Kommissionen gewählt, um sich mit dem Landrat und Magistrat in Lingen in Verbindung zu setzen und um die Kosten für die Vorarbeiten im Kreise Lingen zu beschaffen. 

Der Magistrat in Lingen war für das Projekt sofort gewonnen, bewilligte für die Strecke im Kreise Lingen die halben Vorarbeitungskosten.

Weniger Anklang fand das Projekt beim Landratsamt, weil im Kreis ein Viermillionenprojekt für Landstraßenbau schwebte; zwei Millionen sollten hierzu angeliehen werden, die übrigen die bauenden Gemeinden tragen. 

Seitens des Magistrats in Lingen wurde Mitte Februar 1899 eine öffentliche Versammlung in Lengerich anberaumt, wozu Gemeinden der beiden Bahnprojekte Lingen - Fürstenau und Lingen - Quakenbrück eingeladen waren, um über die Stimmung für die beiden Projekte Aufklärung zu schaffen. Den Vorsitz in dieser Versammlung führte der Landrat Dr. Franke, Lingen; beide Projekte wurden eingehend erörtert. Das Projekt Fürstenau - Lingen wurde hauptsächlich vertreten durch den Gerichtsassessor Dr. Vahrenhorst, damals in Lingen, auch Lengerich strebte mit allen Kräften für das schon alte Lieblingsprojekt und gab die positive Erklärung ab, an einer Kleinbahnverbindung über Wettrup -Berge - Quakenbrück werde sich Lengerich nie beteiligen. Auf diesen Beschluß hin erklärte der Vertreter von Bawinkel, welche Gemeinde bei beiden Projekten nicht hätte in Frage kommen können: Wenn die Sache so steht, dann ist Bawinkel gerne bereit, statt Lengerich für das Projekt Quakenbrück - Lingen voll und ganz einzutreten. 

Nach dieser Erklärung von Bawinkel wurden von allen Seiten Schluß- und Bravorufe laut, so daß der Vorsitzende Landrat Dr. Franke die Versammlung schließen mußte. 

Auf diese Weise ist der große Nord-Ost-Bogen über Bawinkel zustande gekommen. 

Noch in derselben Woche traten in Gersten (Wirtschaft Hüer) die Gemeinden und Private, die sich für das Projekt interessierten, zusammen und stellten beim Landesdirektorium in Hannover Antrag auf Ausführung der Vorarbeiten. Am 16. April 1899 machte auf Anordnung des Landesdirektoriums der technische Dezernent Landesbaurat Sprengel mit den Vertretern der Behörden und den interessierten Gemeinden die erste Bereisung der projektierten Linie, um Terrain und Gegend zu besichtigen. Das Urteil der Herren war äußerst günstig, weil von allen Seiten großes Interesse gezeigt wurde. Die Begleitung der Kommission bestand während der ganzen Strecke aus einer großen Anzahl vollbesetzter Wagen; am Essen in der Mittagspause zu Wettrup nahmen ca. 60-70 Personen teil.

Nachdem die Rentabilitätsberechnung vom Landesdirektorium fertiggestellt, der Staat ein Drittel der Kosten übernommen und die Provinz verbilligten Zinsfuß zugesagt hatte, wurde ein Baukomitee gewählt, bestehend aus den Herren Bürgermeister Meyer, Lingen, Bürgermeister Willmann, Quakenbrück, Gemeindevorsteher Schenke, Berge, und Hofbesitzer Altmann, Wettrup. 

Die Vorarbeiten etc. haben reichlich drei Jahre in Anspruch genommen, so daß im Juni 1902 der erste Spatenstich in Lingen gemacht werden konnte. Zwei Jahre dauerte es dann noch bis zur Inbetriebnahme der Strecke. 

Die Erinnerung an die Eröffnungsfahrt ließ wiederum der ,,Lingener Volksbote" in der Ausgabe vom 31. Mai 1929 aufleben: 

..Am 31. Mai 1904, um 9.30 Uhr verließ der Festzug unter den Klängen des Liedes: ,Muß i denn...' den Bahnhof Lingen. An der Fahrt nahmen u. a. teil: Regierungspräsident von Barnekow und Regierungsrat Bachmann als Vertreter der Regierung, Landesdirektor Lichtenberg als Vertreter der Provinz, Landesbaurat Sprengel und Geh. Baurat Frank als Vertreter des Landesdirektoriums. Als Vertreter der Städte nahmen Bürgermeister Meyer, Lingen, Hahn, Quakenbrück und Gemeindevorsteher Schenke, Berge sowie die Landräte Franke, Lingen, und Klauser, Bersenbrück, teil. Staatsminister a. D. Exzellenz v. Hammerstein sowie verschiedene Herren der Regierung und Abgeordnete der Städte und Gemeinden hatten sich ebenfalls eingefunden. 

In den Ortschaften Brögbern, Bawinkel, Wettrup und Berge wurden die Festzugsteilnehmer von den Gemeindemitgliedern empfangen. Die Schuljugend sang patriotische Lieder und Ansprachen wurden gewechselt. In Berge fand mittags ein Festmahl statt, an welchem sich etwa 130 Personen beteiligten. Hierselbst gedachte man derer, die sich um das Zustandekommen der Bahn verdient gemacht hatten, besonders des Oberleiters Baurat Sprengel und der Bauleiter Krieter und Voigt. Nach Beendigung des Festmahls wurde die Weiterfahrt nach Quakenbrück angetreten. Überall fanden die Teilnehmer begeisterte Aufnahme. In Renslage und Menslage wurden sie noch durch Ansprachen begrüßt. Nach Ankunft des Zuges und kurzer Begrüßung in Quakenbrück begaben sich die Festteilnehmer in die Gartenanlagen des ,,Roten Hauses", in denen die Lingener und Quakenbrücker Musikkapellen konzertierten. Um 7.00 Uhr erfolgte die Rückfahrt nach Lingen."

Fast 50 Jahre erfüllte in der Folgezeit die Kleinbahn - oder der Pingelanton, wie man sie scherzhaft nannte - seine Aufgaben im Dienste der Bevölkerung. Mit dem Vordringen der Motorisierung aber und dem Ausbau des Straßennetzes wurde sie nach dem zweiten Weltkriege zunehmend unattraktiv. So mußte man sich 1952 schweren Herzens entschließen, die Strecke stillzulegen und den ,,Pingelanton" in ,,Pension zu schicken". Die Gefühle manchen Kleinbahnfreundes mögen sich in dem kleinen Gedicht ausdrücken, das bei der letzten Fahrt in Menslage von den Stammgästen" auf einer schwarzumflorten Tafel angebracht wurde:

 

,,Fast 50 Jahre tat'st du deine Pflicht, leider stört das manchen nicht. Du hast so manchen Sturm erlebt Lind bist mit uns dahin geschwebt. Doch heute ist es nun so weit, du mußt weichen dem Tempo der Zeit; nun gehst du in die ewigen Gründe. Doch wir sagen: das ist eine Sünde! Der Mohr tat seine Pflicht und kann gehn, wir können es immer noch nicht verstehn. Ab heute tönt nicht mehr dein Geklingel, Ruhe sanft, du alter treuer Pingel."

Gewidmet von deinen Stammkunden